Gefährdungslagen im Zuge der Transformation
Die Transformation des Infrastruktursystems Landwirtschaft und Ernährung hin zu einem nachhaltigen und gesellschaftlich anerkannten System ist mit vielfältigen Herausforderungen verbunden. Die Reduzierung der Treibhausgasemissionen ist eine zentrale Aufgabe, um das Ziel der Klimaneutralität bis 2045 in Deutschland zu erreichen. Zusätzlich muss das Infrastruktursystem den Folgen der globalen Erwärmung begegnen und seine Produktionsweisen anpassen. Dabei sind schädliche Effekte auf die natürlichen Ressourcen wie Böden und Wasser, Tierwohl und menschliche Gesundheit zu vermeiden. Diese Transformationsprozesse bieten große Chancen, zugleich bergen sie verschiedene Risiken. Nachfolgend werden systemische Risiken beleuchtet, die sich vor allem auf das Erreichen der Transformationsziele auswirken.
Die Transformation des Landwirtschafts- und Ernährungssystems ist aufgrund der bestehenden Pfadabhängigkeiten herausfordernd [1]. In der landwirtschaftlichen Produktion dominieren beispielsweise hochentwickelte und integrierte Technologiesysteme. Typischerweise kommen speziell gezüchtete, global gesehen auch gentechnisch hergestellte Pflanzensorten zum Einsatz, deren Anbau untrennbar mit der Verwendung von Düngemitteln und oft spezifischen Pestiziden verbunden ist. Diese Technologien ermöglichen eine kostengünstige Produktion, gehen jedoch häufig mit erheblichen Umweltauswirkungen einher [2]. Aber auch der hohe Fleischkonsum kann in vielen Ländern als recht stabiler Pfad beschrieben werden, da der Verzehr von Fleisch oder Fisch als integraler Bestandteil wichtiger soziokultureller Traditionen und tief verankerten Gewohnheiten etabliert ist. Die Fleischindustrie ist zudem in Ländern mit mittlerem und hohem Einkommen, einschließlich Deutschland, ein bedeutender Wirtschaftszweig, der aktiv einen hohen Fleischkonsum fördert und bewirbt [3]. Die Nutztierhaltung ist ein wichtiges Standbein der Landwirtschaft in Deutschland. Sie beeinflusst auch die Strukturen des Ackerbaus, denn die Hälfte der landwirtschaftlich genutzten Fläche wird für die Futtermittelproduktion benötigt. Zusätzlich müssen eiweißreiche Futtermittel importiert werden, um den Eiweißbedarf der Tiere decken zu können [4]. Der Fleischkonsum wirft im Zusammenhang mit der Transformation nicht nur Fragen zu seinen Auswirkungen auf Umwelt und Gesundheit auf, sondern auch darüber, wie mit den Nutztieren umgegangen werden soll. Die Zukunftskommission Landwirtschaft betont die herausragende Rolle der Transformation der Tierhaltung für die umfassende Veränderung des Landwirtschafts- und Ernährungssystems sowohl in ökologischer als auch ökonomischer sowie gesellschaftlicher Hinsicht [5].
Neben ökonomischen sowie nutzungsbezogenen Faktoren sind Pfadabhängigkeiten auch durch rechtliche Regelungen bedingt. Dies begründet sich darin, dass die Landwirtschaft wegen ihres Beitrags zur Grundversorgung eine Sonderstellung im Umweltrecht einnimmt und zahlreiche umweltbezogene Vorschriften in der Landwirtschaft bisher eher wenig effektiv ausgestaltet sind. Das Monitoring ist lückenhaft, und auch der Vollzug weist Schwächen auf [2]. Zudem sind Landwirtschafts- und Umweltverwaltungen in Deutschland auf allen Ebenen getrennt, was eine Durchsetzung der Vorschriften erschwert. Als Folge sind insgesamt steigende Umweltbelastungen in Boden, Wasser und Luft durch Pflanzenschutzmittel, Schwermetalle und Arzneimittelrückstände zu beobachten [6]. Die beschriebenen Pfadabhängigkeiten wirken als erhebliche Bindungskräfte, die sowohl die Struktur als auch die Ausrichtung des Infrastruktursystems langfristig festlegen und damit starke Widerstände für das Erreichen der Transformationsziele wie Klimaneutralität darstellen.
Die Förderung der ökologischen Landwirtschaft ist ein zentraler Bestandteil der Nachhaltigkeitspolitik. Allerdings gibt es kontroverse Diskussionen und eine gesellschaftliche Polarisierung beispielsweise hinsichtlich konventioneller und nachhaltig-ökologischer Landwirtschaft. Auf der einen Seite erhält die wissenschaftlich belegte Forderung nach einer Neuausrichtung des Infrastruktursystems in Richtung verstärktem Umwelt-, Klima- und Verbraucherschutz zusätzlichen Rückhalt durch das Engagement verschiedener und breit aufgestellter zivilgesellschaftlicher Initiativen. Zudem sind politische Strategien, wie die Farm-to-Fork-Strategie, auf die Stärkung einer nachhaltigen Landwirtschaft und Ernährung ausgerichtet. Auf der anderen Seite bildete sich Gruppierungen und Netzwerke, die sich klar gegen weitere Umweltvorschriften und die Reform der Düngeverordnung aussprechen [7]. In der Vergangenheit zeigten sich zudem zahlreiche Proteste gegen politische Entscheidungen, die sich zum Teil auch populistisch äußerten [8][5]. Ein Beispiel sind die Proteste von Landwirt/innen in der jüngeren Vergangenheit, die sich unter anderem gegen den angekündigten Abbau der Agrardieselsubvention richteten. Heinze et al. [9] ermittelten in einer Studie folgende dominierenden Protestmotive: Sorgen über neue politische Vorgaben der Politik für die Landwirtschaft, dicht gefolgt von Sorgen über die generelle Zukunft der Landwirtschaft sowie die persönliche wirtschaftliche Zukunft. Sorgen über die Klimawandelfolgen sind bei den Befragten am geringsten ausgeprägt.
Die polarisierte gesellschaftliche Debatte um konventionell versus nachhaltig-ökologisch kann eine Verengung des politischen Handlungsraums zur Folge haben und so notwendige Strategien zur Erhöhung der Resilienz des Landwirtschafts- und Ernährungssystems unmöglich machen. Dies könnte weitreichende Folgen für die Ernährungssicherheit und die Landwirtschaft haben [8]. Die gesellschaftliche Polarisierung wird durch inflationsbedingt steigende Lebenshaltungskosten verschärft. Die Verbesserung der Versorgung mit gesunden, vielfältigen und nachhaltig produzierten Lebensmitteln, eine Hauptaufgabe des Landwirtschafts- und Ernährungssystems, wird für Geringverdienende zunehmend schwieriger – auch in diesem Bereich manifestiert sich die gesellschaftliche Polarisierung. Dies ist der entscheidende Grund dafür, dass Expertenberichte auf die besondere Notwendigkeit verweisen, bei Transformationsentscheidungen sozioökonomisch schwächere Bevölkerungsgruppen gezielt zu berücksichtigen [5].
Die Transformation führt in einigen Bereichen auch zu neuen Risiken. Im Vergleich zur konventionellen Landwirtschaft erfordert der Ökolandbau generell mehr Fläche. Durch den Verzicht auf mineralischen Dünger und chemisch-synthetische Pestizide ist der Bioertrag pro ha im Vergleich zum konventionellen Landbau geringer [10]. Die Auswertung vorliegender Metaanalysen, die Untersuchungen aus verschiedenen Ländern und naturräumlichen Gegebenheiten, von verschiedenen Kulturpflanzen sowie unterschiedlicher Versuchsdauer und -anlage gemeinsam analysieren, zeigt, dass die Erträge im ökologischen Landbau durchschnittlich um 20 bis 25 % unter denen des konventionellen Landbaus liegen [11]. Dies könnte zu einer stärkeren Importabhängigkeit und ggf. zu Versorgungsengpässen führen. Zudem benötigen Nutztiere in der ökologischen Landwirtschaft mehr Freiraum zum Auslaufen und pro Tier eine größere Stallfläche. Die bereits vorhandenen Konkurrenzen um Flächennutzung nehmen weiter zu. Aus Verbraucherperspektive fällt zudem auf, dass ökologisch erzeugte Nahrungsmittel im Vergleich zu konventionell hergestellten Waren meist deutlich teurer sind [10]. Der Grund dafür ist, dass die ökologische Produktion aufwendiger ist. Sie erfordert mehr Platz und mehr manuellen Aufwand pro Tier oder Pflanze. Zudem sind die für die Tierhaltung benötigten Biofuttermittel in der Regel ebenfalls kostspieliger. Hierdurch kann sich eine Verstärkung gesellschaftlicher Polarisierung bzw. Ernährungsungerechtigkeit ergeben.
- Behrendt, S.; Henseling, C.; Gegner, K.; Neipperg, C. (2023): Treiber, Diskurse und Transformationsszenarien. Experimentierfeld Agro-Nordwest, www.agro-nordwest.de/ (4.3.2024)
- Kahlenborn, W.; Clausen, J.; Behrendt, S.; Göll, E. (Hg.) (2019): Auf dem Weg zu einer Green Economy. Wie die sozialökologische Transformation gelingen kann. Neue Ökologie Band 3, Bielefeld
- Friedrichsen, J.; Gärtner, M. (2020): Warum essen wir so viel Fleisch? Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung, www.diw.de/ (4.3.2024)
- Deutscher Bundestag (2023): Deutscher Bundestag Drucksache 20/9100 – Agrarpolitischer Bericht der Bundesregierung 2023
- Zukunftskommission Landwirtschaft (2021): Zukunft Landwirtschaft. Eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Zukunftskommission Landwirtschaft, Berlin
- Umweltbundesamt (2023): Landwirtschaft umweltfreundlich gestalten, www.umweltbundesamt.de (4.3.2024)
- Umweltbundesamt (2021): Eine zukunftsfähige Landwirtschaft für Alle. Regionale Dialogverfahren und der Agrarkongress 2020 als erster Schritt in der Erarbeitung von Elementen des Gesellschaftsvertrages. Dessau-Roßlau
- Feindt, P. H. (2022): Warum Wandel in der Landwirtschaft so schwierig ist. In: Aus Politik und Zeitgeschichte 72(15-17/2022), S. 15–20, www.bpb.de/ (4.3.2024)
- Heinze, R. G.; Bieckmann, R.; Küchler, A.; Kurtenbach, S. (2021): Sorgen und Proteste auf dem Land. Ergebnisse einer empirischen Untersuchung aktueller Bauernproteste, hss-opus.ub.ruhr-uni-bochum.de (4.3.2024)
- Muller, A.; Schader, C.; El-Hage Scialabba, N.; Brüggemann, J.; Isensee, A.; Erb, K.-H.; Smith, P.; Klocke, P.; Leiber, F.; Stolze, M.; Niggli, U. (2017): Strategies for feeding the world more sustainably with organic agriculture. In: Nature communications 8(1), S. 1290, DOI: 10.1038/s41467-017-01410-w
- TAB (2021): Nachhaltigkeitsbewertung landwirtschaftlicher Systeme – Herausforderungen und Perspektiven. (Meyer, R.; Priefer, C.; Sauter, A.) TAB-Arbeitsbericht 188, Berlin. publikationen.bibliothek.kit.edu/ (4.3.2024)
Büro für Technikfolgen-Abschätzung beim Deutschen Bundestag (TAB) (2024): Foresight-Report 2024. Mit Fokus auf die Infrastruktursysteme Energie, Landwirtschaft und Ernährung sowie Verkehr und Mobilität (Autor/innen: Bledow, N.; Eickhoff, M.; Evers-Wölk, M.; Kahlisch, C.; Kehl, C.; Nolte, R.; Riousset, P.). Berlin. https://foresight.tab-beim-bundestag.de