Gefährdungslagen im Zuge der Transformation
Die Transformation des Infrastruktursystems Verkehr und Mobilität hin zu einem nachhaltigen und gesellschaftlich akzeptierten System ist mit vielfältigen Herausforderungen verbunden. Die Reduzierung der Treibhausgasemissionen ist eine zentrale Aufgabe, um das Ziel der Klimaneutralität bis 2045 in Deutschland zu erreichen. Dies soll insbesondere durch alternative Antriebsformen wie die Elektromobilität sowie vernetzte Mobilitätskonzepte erreicht werden. Diese Transformationsprozesse bieten große Chancen, zugleich bergen sie verschiedene Risiken. Nachfolgend werden systemische Risiken beleuchtet, die sich vor allem auf das Erreichen der Transformationsziele auswirken. Zudem werden die Auswirkungen systemischer Risiken auf die Versorgungssicherheit und den Erhalt der Mobilität im transformierten Verkehrs- und Mobilitätssystem erläutert.
Das Gefährdungspotenzial des systemischen Risikos Pfadabhängigkeiten für das Erreichen der Transformationsziele resultiert vor allem aus langfristigen Festlegungen der Infrastruktur. Veränderungen im Zuge der Transformation stehen ökonomische und rechtliche Pfadabhängigkeiten sowie Regulierungen im Bereich des Straßenbau- und Straßenverkehrsrechts entgegen [1], wodurch Investitionen in neue Strukturen behindert bzw. ökonomisch unattraktiv werden. Die Transformation des Verkehrs- und Mobilitätssystems führt zu einer Zunahme vernetzter Mobilitätskonzepte, wie beispielsweise MaaS-Angebote. Dies kann zum einen bestehende Pfadabhängigkeiten reduzieren, indem Mobilitätsoptionen zunehmen und sich das Mobilitätsverhalten verändert. Zum anderen können bestehende Pfadabhängigkeiten aber auch verstärkt werden, insbesondere durch mangelnde Integration öffentlicher Verkehre in Mobilitätsplattformen. So geht beispielsweise eine schnelle und unkontrollierte Ausweitung von Sharingangeboten unter Umständen mit einer signifikanten Erhöhung des Individualverkehrs einher [2]. Als Folge würde der öffentliche Personennahverkehr (ÖPNV) weniger genutzt und an Bedeutung verlieren. MaaS-Angebote entfalten daher nur dann eine resilienzfördernde Wirkung, wenn sie den ÖPNV integrieren [3].
Nicht nur die Umstellung auf alternative Antriebe, sondern auch Akzeptanzaspekte sowie Fragen der sozialen Gerechtigkeit bezüglich verkehrspolitischer Maßnahmen werden vor dem Hintergrund der Transformation zunehmend relevant. Das systemische Risiko gesellschaftliche Polarisierung steht in engem Zusammenhang mit Veränderungen im Verkehrs- und Mobilitätssystem. Insbesondere die Förderung nachhaltiger Mobilitätsformen generiert kontroverse Debatten, u.a. zu Prioritäten bei Flächeninanspruchnahme und Investitionen sowie zu Preisgestaltung und Zugangsmöglichkeiten [4][5]. Die gesellschaftliche Akzeptanz von Veränderungen ist für das Erreichen der Transformationsziele essenziell [6][7]. Akzeptanzprobleme entstehen beispielsweise durch Einkommensunterschiede, die die Wahl der Verkehrsmittel beeinflussen und herkömmliches Mobilitätsverhalten festigen. Zunehmende Mobilitätsarmut [6] ist ein wichtiger Aspekt der Lebenshaltungskostenkrise, die im Global Risk Report 2024 [8] auf Rang 4 der akuten Krisen verankert ist. Die Bereitstellung und die Sicherung des allgemeinen Zugangs zu Mobilität (Daseinsgrundvorsorge) müssen daher durch sozialverträgliche politische Steuerung und Regelungen der Transformation frühzeitig verankert werden. Zudem plädieren Expert/innen für einen ausgewogenen Mix an Mobilitätsangeboten [9].
Die wachsende Bedeutung von Privatunternehmen als Anbieter von Mobilitätsdiensten verstärkt das Potenzial für Gefährdungslagen durch Machtkonzentrationen, insbesondere in Abwesenheit entsprechender Regulierungen. Plattformen und die Plattformökonomie gewinnen an Bedeutung und beeinflussen das Infrastruktursystem maßgeblich. Private, international tätige Technologie- und Dienstleistungskonzerne wie der Google-Mutterkonzern Alphabet, Amazon oder auch Uber dominieren gegenwärtig die digitalen Mobilitätsangebote, sammeln Daten über Verkehrsaktivitäten, Bewegungsprofile und können über ihre Anwendungen sogar aktiv das Verkehrsgeschehen beeinflussen [10]. Zwar stellen auch öffentliche Verkehrsunternehmen zunehmend Plattformen zur Verfügung, diese haben jedoch meist nur begrenzte Kapazitäten [11]. Die mit diesen Entwicklungen verbundene Konzentration verleiht Plattformbetreibern eine Machtposition, die sich auf die Funktionalität des Infrastruktursystems auswirkt [9], wenn beispielsweise nur eingeschränkte Verkehrsoptionen angeboten werden.
Auch die Gefährdungslagen mit besonders hoher Entwicklungsdynamik verändern sich im Zuge der Transformation des Infrastruktursystems. Insbesondere die systemischen Risiken Versorgungsengpässe bei Energie und kritischen Rohstoffen sowie geopolitische Konflikte wandeln sich im Zuge der Transformation. Laut dem Umweltprogramm der Vereinten Nationen (UNEP) gelten die extraktiven Industrien diesbezüglich als diejenigen mit dem höchsten Risikopotenzial. Demnach stehen etwa 40 % aller globalen Konflikte der letzten 60 Jahre in Verbindung mit dem Abbau von Rohstoffen, darunter viele gewalttätige Auseinandersetzungen und Kriege [12]. Die flächendeckende Einführung der Elektromobilität im Zuge der Mobilitätswende erfordert den Import von Batterien bzw. umfangreiche Importe von Ressourcen, wie Lithium und Kobalt, für die Produktion von Batterien, wodurch stärkere Abhängigkeiten von anderen Ländern entstehen [12]. Zudem benötigen batterieelektrische Fahrzeuge das 10-Fache an Computerchips und Mikroprozessoren im Vergleich zu Fahrzeugen mit Verbrennungsmotor. Bereits im ersten Halbjahr 2021 konnte die Produktion von 2 bis 4 Mio. Fahrzeugen aufgrund von Mikrochipengpässen nicht realisiert werden [13]. Ursachen für diese weltweiten Lieferengpässe sind unter anderem Rohstoffknappheit und geopolitische Spannungen zwischen China und den USA. Die globalen Lieferengpässe können zudem zu einer verstärkten Abhängigkeit Europas von der asiatischen Produktion führen und die Transformation hin zu einer verstärkten Elektrifizierung des Infrastruktursystems hemmen. Insgesamt lässt sich feststellen, dass die betrachteten systemischen Risiken eine Transformation des Verkehrs- und Mobilitätssystems massiv gefährden können.
- Kahlenborn, W.; Clausen, J.; Behrendt, S.; Göll, E. (Hg.) (2019): Auf dem Weg zu einer Green Economy. Wie die sozialökologische Transformation gelingen kann. Neue Ökologie Band 3, Bielefeld. DOI: 978-3-8376-4493-7
- International Transport Forum (ITF) OECD (2021): ITF Transport Outlook 2021. International Transport Forum (ITF) at the OECD.
DOI: 10.1787/16826a30-en - IZT (2024): Resiliente Mobilität in Baden-Württemberg -. Herausforderungen für und Anforderungen an ein elektrifiziertes Mobilitätssystem der Zukunft. e-mobil BW GmbH, www.e-mobilbw.de/
- Europäische Kommission (2019): The future of road transport : implications of automated, connected, low-carbon and shared mobility. DOI: 10.2760/668964
- Zimmer, F. (2020): Nur das Richtige im Falschen? Mobilität zwischen Innovation und automobiler Pfadabhängigkeit. In: Baustelle Elektromobilität, S. 117–136. DOI: 10.14361/9783839451656-006
- Agora Verkehrswende (2023): Mobilitätsarmut in Deutschland. Annäherung an ein unterschätztes Problem mit Lösungsperspektiven für mehr soziale Teilhabe und Klimaschutz. Agora Verkehrswende, www.agora-verkehrswende.de/ (27.2.2024)
- Wissenschaftlicher Beirat BMDV (2023): Mobilitätswende in Stadt und Land – Klimaschutz und räumliche Gerechtigkeit als Transformationsziele des Verkehrs. Bundesministerium für Digitales und Verkehr, www.bmdv.bund.de/
- WEF (2024): The Global Risks Report 2024. 19th Edition. Insight Report, www.weforum.org/
- Strauß, S.; Bettin, S. (2023): Digitalisierung, Vulnerabilität und (kritische) gesellschaftliche Infrastrukturen. Entwicklungsstand, Trends und zentrale Herausforderungen. Institut für Technikfolgen-Abschätzung der Österreichischen Akademie der Wissenschaften, epub.oeaw.ac.at/
- Hofmann, K. M.; Hanesch, S.; Levin-Keitel, M.; Krummheuer, F.; Serbser, W. H.; Teille, K.; Wust, C. (2021): Kapitel 1 Auswirkungen von Digitalisierung auf persönliche Mobilität und vernetzte Räume – Zusammenfassende Betrachtung der Unseens digitaler Mobilität.
DOI: 10.5771/9783748924111 - Flore, M.; Kröcher, U.; Czycholl, C. (2021): Unterwegs zur neuen Mobilität. Perspektiven für Verkehr, Umwelt und Arbeit. DOI: 10.14512/9783962388249
- Brunnengräber, A.; Haas, T. (Hg.) (2020): Baustelle Elektromobilität. Edition Politik, Bielefeld, Germany
- Hahne, S. (2021): Lieferengpässe bei Halbleitern – Die Macht der Mikrochips. Deutschlandfunk.de, 28.2.2024, www.deutschlandfunk.de/ (4.3.2024)
Büro für Technikfolgen-Abschätzung beim Deutschen Bundestag (TAB) (2024): Foresight-Report 2024. Mit Fokus auf die Infrastruktursysteme Energie, Landwirtschaft und Ernährung sowie Verkehr und Mobilität (Autor/innen: Bledow, N.; Eickhoff, M.; Evers-Wölk, M.; Kahlisch, C.; Kehl, C.; Nolte, R.; Riousset, P.). Berlin. https://foresight.tab-beim-bundestag.de