Digitalisierung der Netz- und Verbrauchssteuerung
Die Digitalisierung hält in der Energiewirtschaft seit einigen Jahren Einzug und wird auch politisch unterstützt: 2023 beschloss der Bundestag ein Gesetz zum Neustart der Digitalisierung der Energiewende. Die Digitalisierung betrifft insbesondere die Erfassung von Endenergieverbräuchen sowie der Energieerzeugung und Netzsteuerung. Auch die Integration des europäischen Strommarkts treibt die Digitalisierung des Infrastruktursystems.
Weltweit sind die netzbezogenen Investitionen in digitale Technologien seit 2015 um über 50 % gestiegen [2]. Digitalisiert wird zum einen die Erfassung von Endenergieverbräuchen. Mithilfe intelligenter Messgeräte (Smart Meter) kann der Stromverbrauch von Kund/innen in Echtzeit gemessen und automatisch sowohl an die Kund/innen selbst als auch an Stromanbieter und Netzbetreiber kommuniziert werden, um ein effizientes, bedarfsgerechtes Stromlastmanagement zu ermöglichen (ggf. mit dem Ziel lastabhängiger Tarife). Zum anderen ist eine Digitalisierung der Energieerzeugung und Netzsteuerung zu beobachten (Smart Grids). Damit lässt sich der zunehmende Koordinierungsaufwand senken, der sich aus der steigenden Anzahl der an der Energieerzeugung beteiligten Akteure und Unternehmen ergibt [3]. So wächst die Anzahl der Verbraucher/innen, die zugleich Energie erzeugen (Prosumer), schnell an. Beispielsweise verdreifachte sich die Anzahl der installierten Balkonkraftwerke (kleine Solaranlagen) zwischen 2022 und 2023 [4]. Die Koordination zwischen Netz, Erzeugung und Verbrauch erfolgt immer mehr dezentral sowie bidirektional [5] und künstliche Intelligenz (KI) kommt auch dabei immer stärker zum Einsatz. Die digitale Netzsteuerung kann resilienzfördernd wirken, indem sie die Integration des europäischen Strommarkts erleichtert: Regionen mit einem Elektrizitätsüberschuss können Regionen mit einem temporären Engpass leichter unterstützen.
Um die wachsenden Datenmengen zu speichern, analysieren und zu verarbeiten, nutzen Energieversorger zunehmend cloudbasierte Softwaredienste und externe Recheninfrastruktur [6]. Ihr Einsatz schafft Abhängigkeiten von der IKT-Infrastruktur und trägt – so die Einschätzung der überwiegenden Mehrheit der Befragten Expert/innen (Datengrafik) – zu einer erhöhten Verletzlichkeit des Energiesystems bei. Mit der Digitalisierung des Energiesystems geht auch die Zunahme digitaler Geschäftsmodelle in der Energiewirtschaft einher. Energiegemeinschaften werden gebildet, Flexibilitätsplattformen entwickelt und Verbrauchsdatenanalysen angeboten. Marktkonzentrationen durch digitale Geschäftsmodelle sind perspektivisch denkbar [6] und könnten ökonomische Abhängigkeiten schaffen, die nur schwer reversibel sind [3]
Die fortschreitende Digitalisierung des Energiesystems kann einerseits zur Resilienz des Energiesystems beitragen, bringt aber andererseits auch neue Risiken durch die zunehmende Abhängigkeit von IKT-Infrastruktur mit sich. Diese Ambivalenz zeigt sich auch in den Befragungsergebnissen (Datengrafik): So sind etwa zwei Drittel der befragten Expert/innen der Ansicht, dass die Digitalisierung der Energieerzeugung und Netzsteuerung die Resilienz des Infrastruktursystems erhöht, während zugleich ebenfalls zwei Drittel damit eine verstärkte Verletzlichkeit verbindet. Einher gehen damit systemische Risiken durch Cyberkriminalität sowie Technikversagen und eingeschränkte Technikbeherrschbarkeit durch Komplexitätssteigerung.
Mit KI wird das Potenzial assoziiert, die Funktionsfähigkeit und Resilienz von Stromnetzen zu erhöhen. Mehrere Versorgungsunternehmen integrieren KI auch in kritische Abläufe, beispielsweise zur Wartung physischer Anlagen oder zur Optimierung der Auslastung von Windenergieanlagen. Zahlreiche Start-ups entwickeln KI-Anwendungen für den Energiebereich [7]. Ein für die Resilienz des Systems besonders relevantes Beispiel ist die Markteinführung eines KI-Systems, das historische Daten von Versorgungsunternehmen über die Leistung von Energieanlagen mit globalen Klimamodellen verknüpft. Dies ermöglicht die Vorhersage der Wahrscheinlichkeit von Netzausfällen aufgrund extremer Wetterereignisse wie Schneestürme oder Waldbrände [8].
- Deutscher Bundestag (2023): Anhörung zum »Neustart der Digitalisierung der Energiewende«. 16.3.2023. www.bundestag.de/
- Internhttps://www.bundestag.de/presse/hib/kurzmeldungen-938228ational Energy Agency (2023): Digitalisation. www.iea.org/
- Strauß, S.; Bettin, S. (2023): Digitalisierung, Vulnerabilität und (kritische) gesellschaftliche Infrastrukturen. Entwicklungsstand, Trends und zentrale Herausforderungen. Institut für Technikfolgen-Abschätzung der Österreichischen Akademie der Wissenschaften, epub.oeaw.ac.at/
- Janson, M. (2023): Mini-Solaranlagen. Der Trend geht zum Balkonkraftwerk. 29.8.2023. de.statista.com/ (26.2.2024)
- EWI (2023): H2-Geopolitik. Geopolitische Risiken im globalen Wasserstoffhandel. ewi.uni-koeln.de/
- Gährs, S.; Bluhm, H.; Kütemeyer, L. (2022): Nachhaltige Digitalisierung einer dezentralen Energiewende. Stand der Forschung, relevante Fragestellungen und aktuelle Herausforderungen. Institut für ökologische Wirtschaftsforschung, ECOLOG – Institut für sozial-ökologische Forschung und Bildung. Berlin.www.ioew.de/
- Dena (2024): Künstliche Intelligenz. EnerKI Map Künstliche Intelligenz im Energiesektor. dena.de/
- June, K. (2023): Four ways AI is making the power grid faster and more resilient. www.technologyreview.com/
Büro für Technikfolgen-Abschätzung beim Deutschen Bundestag (TAB) (2024): Foresight-Report 2024. Mit Fokus auf die Infrastruktursysteme Energie, Landwirtschaft und Ernährung sowie Verkehr und Mobilität (Autor/innen: Bledow, N.; Eickhoff, M.; Evers-Wölk, M.; Kahlisch, C.; Kehl, C.; Nolte, R.; Riousset, P.). Berlin. https://foresight.tab-beim-bundestag.de