Ausbau von Power-to-X-Infrastrukturen
und der Sektorkopplung
Um die Ziele eines klimaneutralen Deutschlands bis 2045 zu erreichen, sollen Prozesse auch außerhalb des Energiesektors, die auf fossilen Energieträgern beruhen, dekarbonisiert werden. Dazu soll die Verknüpfung von Strom-, Wärme-, Industrie- und Verkehrssektoren (Sektorkopplung) beitragen. Mit der Verknüpfung einzelner Sektoren können wechselseitig Energiedefizite und -überschüsse ausgeglichen werden, Effizienzsteigerungen erzielt und der Bedarf an Primärenergie gesenkt werden [1]. Um die Kopplung von Sektoren technisch zu ermöglichen, werden Power-to-X-Infrastrukturen aufgebaut sowie existierende Infrastrukturen ausgebaut oder umgestellt.
Power-to-X-Infrastrukturen ermöglichen es, aus Strom andere Formen von Energie (z.B. Wärme, flüssige Kraftstoffe) zu erzeugen. So soll beispielsweise ein Teil der Leitungen, die bisher für Ferngas genutzt wurden, so umgebaut werden, dass sie künftig auch Wasserstoff transportieren können [2]. Der Ausbau von Power-to-X-Infrastrukturen wird von den meisten befragten Expert/innen (Datengrafik) als Beitrag zur Resilienz des Systems gesehen, wobei das Risiko einer ungenügenden Versorgung mit Strom aus erneuerbaren Energien besteht. Das produzierte Volumen von Wasserstoff in Deutschland ist im vergangenen Jahrzehnt tendenziell gesunken (Datengrafik), obwohl die Anzahl der in Betrieb genommenen Power-to-X-Anlagen in Deutschland seit 2018 deutlich zugenommen hat (2018: 17 Anlagen; 2019: 33; Anfang 2023: 36). Zahlreiche weitere Anlagen sind in Planung (vor allem Power to Gas), die ganz überwiegend das Ziel haben, Wasserstoff zu produzieren [3]. Allerdings können auch beim Ausbau von Power-to-X-Infrastrukturen (z.B. Wasserstoff) Pfadabhängigkeiten und neue Formen von Abhängigkeiten von ausländischen Lieferanten entstehen, die durch die zunehmenden geopolitischen Konflikte Risiken mit sich bringen [4][5][6][7].
Zum Ausbau der Power-to-X-Infrastrukturen gehört auch die zunehmende Verbreitung alternativer Wärmeerzeuger, die unter Einsatz von Strom Wärme bereitstellen (z.B. Wärmepumpen), deren Beitrag zur Resilienz des Infrastruktursystems von den Expert/innen (Datengrafik) als besonders hoch eingeschätzt wurde. Wärmepumpentechnologien, die mittels Strom und Umgebungswärme (aus dem Boden, Wasser, Luft oder rückgewonnene Abwärme) Wärme bereitstellen, erfahren stetige Verbesserung und Effizienzsteigerungen, wodurch sie perspektivisch auch zur Dekarbonisierung der Industrie beitragen könnten [8]. In Deutschland wird beispielsweise die Erzeugung von Prozesswärme mit Hochleistungswärmepumpen erprobt, die mit dem Arbeitsmedium Wasser bis zu 200 °C erreichen [9]. Auch Großwärmepumpen werden für die großstädtische Wärmeversorgung in Großbritannien, in Deutschland und in der Schweiz aufgebaut bzw. schon genutzt und könnten einen Eckpfeiler für Fernwärmenetze darstellen [10]. Neue Ansätze wie flexible Wärmepumpen ermöglichen es, höhere Prozesstemperaturen zu erreichen, und könnten perspektivisch auch mit Systemen der saisonalen Wärmespeicherung gekoppelt werden. Ein noch zu lösendes Problem stellt die Substitution des Einsatzes von Fluorkohlenwasserstoffen als Arbeitsmedium dar.
In Deutschland werden Energiespeicherkapazitäten ausgebaut (z.B. PV-Stromspeicher). Die Anzahl der insgesamt installierten PV-Stromspeicher ist zwischen 2017 und 2023 um mehr als das 13-Fache gewachsen [11]. Ende 2022 waren bereits ca. 5,5 GWh an Speicherkapazität installiert [12]. Auch batteriebetriebene Fahrzeuge lassen sich mit neuen Technologien wie Vehicle to Grid als dezentrale Speicher in das Stromnetz einbinden. Des Weiteren sind in 2023 eine Reihe an Großbatteriespeicher in Betrieb gegangen [13]. Die Kapazität von Großbatteriespeichern in Deutschland könnte sich bis 2030 mehr als verzehnfachen [14]. Allerdings sind für den Einsatz von Batteriespeichern für großtechnische stationäre Anwendungen (z.B. für die Versorgung ganzer Quartiere) noch bedeutsame technologische und wirtschaftliche Hürden zu überwinden [4]. Großtechnische Batteriespeicher werden derzeit primär im Rahmen von Forschungs- und Demonstrationsprojekten entwickelt und aufgebaut. Es entstehen zwar zunehmend kommerzielle Anwendungen, allerdings stellt das Hochskalieren der Produktion eine große Herausforderung dar [15] und ist nicht unter allen Stromnetzausbauszenarien vorteilhaft. Vor allem Lösungen zur Nutzung von Abwärme und saisonaler Wärmespeicherung werden von den meisten befragten Expert/innen (Datengrafik) als förderlich für die Resilienz des Infrastruktursystems angesehen. Thermische Energiespeichertechnologien (kurz: Wärmespeicher) werden in Deutschland Medienberichten zufolge [16][17] zunehmend gebaut. Ihnen kommt eine Schlüsselrolle zu, um die Kopplung zwischen Wärme- und Stromsektor voranzutreiben und zur Flexibilisierung der Energiebereitstellung sowie zur Dekarbonisierung des Wärmesektors beizutragen. Werden sie auf Quartiersebene eingesetzt, können sie lokal verfügbare und überschüssige regenerative Energie speichern und diese bei Bedarf wieder verfügbar machen [18].
Eine flexible Wärmepumpe [19] unterscheidet sich von einer gewöhnlichen Wärmepumpe lediglich durch einen zusätzlichen Wassertank oder Wärmespeicher, welcher die Restwärme des Kältemittels aufnimmt. Dadurch wird die sonst vergeudete Wärme zur Effizienzerhöhung genutzt. Weitere Effizienzpotenziale werden durch eine Technologie erschlossen, mit welcher Wärme mittels thermischer Solarkollektoren in den Sommermonaten in den Boden gespeichert wird. Sobald die Luft wieder kälter wird, nutzt die Wärmepumpe einen Teil der gespeicherten Wärme [20]. Darüber hinaus können Wärmepumpen auch mehr Flexibilität im Netz schaffen, indem sie Spitzenlastnachfragen reduzieren. Dafür wird der Strombezug auf die Verfügbarkeit von erneuerbarem Strom softwaregestützt optimiert und die Gleichzeitigkeit ihrer Spitzenlastnachfrage reduziert [21][1].
Zur Wärmespeicherung bieten sich zahlreiche Technologien an (z.B. Kies-/Wasserwärmespeicher, Aquiferspeicher, Eisspeicher). Manche Technologien eignen sich eher zur Kurzzeitwärmespeicherung (Stunden bis Tage), andere für die saisonale Wärmespeicherung (mehrere Monate). Für die Langzeitspeicherung lässt sich ggf. auch industrielle Abwärme nutzen – hier besteht jedoch noch Forschungsbedarf [18]. Welche Technologie sich für ein konkretes Vorhaben am besten eignet, ist standortabhängig bzw. vorhabenspezifisch zu ermitteln. Großes Entwicklungspotenzial für die kommunale Wärmeversorgung haben insbesondere latente Wärmespeicher, die die Nutzung von Phasenwechsel (von fest zu flüssig) des Speichermediums nutzen, sowie thermochemische Speicher, bei welchen die Wärmespeicherung als reversible thermochemische Reaktion erfolgt. Während erstere kommerziell bereits vereinzelt für einzelne Gebäude zum Einsatz kommen, befinden sich thermochemische Speicher noch in einem vorkommerziellen Entwicklungsstadium. In Berlin wird die thermochemische Speicherung in einer Pilotanlage getestet.
Grundlage hierfür ist das bidirektionale Laden, das durch den Hochlauf der Elektromobilität an Bedeutung gewinnt. Die Idee dabei ist, dass batteriebetriebene Fahrzeuge Strom nicht nur aus dem Netz entnehmen, sondern bei großer Netzlast auch wieder in das Netz (V2G) oder das Haus (V2H) einspeisen können. Die in den Batterien der Elektrofahrzeuge gespeicherte Energie kann so dazu genutzt werden (V2G), Schwankungen von Angebot und Nachfrage im Stromnetz auszugleichen, die beim weiteren Ausbau der erneuerbaren Energien zunehmen könnten. Verbraucher/innen bieten sie die Möglichkeit, Geld zu sparen, indem sie ihre Elektrofahrzeuge als Energielieferanten nutzen. Benötigt werden dafür bidirektional ladefähige Fahrzeuge sowie Ladestationen. Eine weitere Grundvoraussetzung ist die Ausstattung mit Smart Metern, bei der Deutschland noch Nachholbedarf hat [23][24]. Allerdings ist die Zwischenspeicherung verlustbehaftet. Außerdem könnte die Technologie auf Akzeptanzprobleme stoßen, da Batterien durch das häufigere Laden und Entladen schneller verschleißen und der bidirektionale Betrieb Nutzungseinschränkungen mit sich bringt. Noch unklar ist deshalb, für welche Anwendungsfälle bidirektionales Laden geeignet ist und wie tragfähige Geschäftsmodelle aussehen könnten. Während die technologischen Voraussetzungen für V2G weitgehend vorliegen, sind für die Anwendung in der Praxis zudem noch diverse regulatorische Fragen zu klären [25].
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