Vernetzte Mobilitätslösungen
Die Digitalisierung hat auch das Verkehrssystem voll erfasst. Fast alle öffentlichen und privaten Anbieter von Mobilitätsservices (ÖPNV, Car- und Bikesharing, Taxidienste etc.) bieten inzwischen Smartphone-Apps an, über die verschiedene Services und Echtzeitinformationen verfügbar und vermehrt integriert abrufbar sind. Bei Pkw gehören smarte Assistenzsysteme und in der Logistik zunehmend vernetzte Prozesse inzwischen zum Standard.
Laut einer repräsentativen Umfrage hat die Hälfte der Deutschen solche Mobilitäts-Apps installiert, wobei die meisten sie für den Kauf von ÖPNV-Tickets nutzen [1]. Zu beobachten ist ein stark wachsender Markt für Mobilitätsdienstleistungen. Dazu gehört, hauptsächlich im urbanen Bereich, die Zunahme digital verfügbarer Angebote im Bereich Mikromobilität und Shared-Mobility [2]. Insgesamt hat die Anzahl registrierter Carsharingnutzer/innen in Deutschland in den letzten 10 Jahren von rund 0,5 Mio. auf 4,5 Mio. zugenommen, die Anzahl der Stationen hat sich im selben Zeitraum auf 7.000 verdoppelt [3][4]. Der deutsche Sharingmarkt, der neben Carsharing auch Angebote im Bike- und E-Scooter-Sharing umfasst, dürfte laut Prognosen von 2022 bis 2027 um rund 4% auf 55,6 Mrd. US-Dollar wachsen [5].
Mit der Digitalisierung entstehen neue und bessere Möglichkeiten, unterschiedliche Verkehrsmittel miteinander zu vernetzen und Mobilitätsangebote bedarfsgerecht zu entwickeln. Letzteres zeigt sich bereits deutlich im Hochlauf digital buchbarer On-demand-Verkehre. Gemeint sind damit per App buchbare Sammelfahrten mit Kleinbussen oder Anrufsammeltaxis, die vor allem im ländlichen Raum oder zu Randzeiten außerhalb der Spitzenstunden helfen können, das Mobilitätsangebot zu verbessern. Seit 2021 hat sich die Zahl der On-demand-Projekte, die in den öffentlichen Verkehr integriert sind, auf 80 verdoppelt [6]. Die maßgeschneiderte Bereitstellung und direkte Buchung verschiedener Mobilitätslösungen (Bahn, ÖPNV, Car- und Bikesharing etc.) über multimodale Mobilitätsplattformen wird auch als Mobility-as-a-Service (MaaS) bezeichnet. Die zunehmende Entwicklung von MaaS-Angeboten wird in Deutschland vor allem von Kommunen und öffentlichen Verkehrsunternehmen vorangetrieben. Die mit öffentlichen Mobilitätsplattformen erhobenen Daten bilden heute schon eine immer wichtigere Ressource für die kommunale Verkehrsplanung und -steuerung [7]. Die zunehmende Erhebung und Nutzung von Mobilitätsdaten wird von den befragten Expert/innen als ein besonders resilienzfördernder Trend eingeschätzt (Datengrafik). Mit Blick auf eine zunehmende Abhängigkeit von datenbasierten Diensten und der möglichen Entstehung von Monopolstrukturen sind mit der Digitalisierung des ÖPNV aber auch neue Risiken verbunden.
Im motorisierten Individualverkehr zeigt sich die Digitalisierung in der zunehmenden Verbreitung vernetzter Pkw (Connected Cars) [8], die sich per Internet mit datenbasierten Diensten verbinden können (u.a. intelligente Navigationsfunktionen, Gefahrenwarnungen oder Infotainmentangebote). Bei den Connected Services wird ein starkes Marktwachstum prognostiziert, deutsche Autohersteller gelten in diesem Bereich als besonders innovationsstark [9][10]. Angestrebt wird perspektivisch eine datenbasierte Kommunikation zwischen Pkw sowie der Datenaustausch zwischen Pkw und zumindest Teilen der Infrastruktur (z.B. Signalanlagen; Vehicle-to-Infrastructure-Kommunikation), wozu diese jedoch erst digital aufgerüstet werden muss. Neben Chancen hinsichtlich verbesserter Verkehrssicherheit sowie effizienterer Verkehrssteuerung – mit Potenzialen z.B. für das Parkraummanagement – ergeben sich durch diese Entwicklung aber auch Risiken im Bereich Cybersicherheit und Datenschutz.
Eine Voraussetzung für die flächendeckende Verfügbarkeit digitaler Mobilitätsangebote ist die Digitalisierung der Verkehrswege, insbesondere eine lückenlose Mobilfunkabdeckung. Vor allem bei Schienen- und Wasserwegen ist zusätzlich eine digitale Aufrüstung der Infrastruktur erforderlich. Hier ist die Entwicklung noch in einem frühen Stadium. Im Bereich der Binnenschifffahrt werden digitale Testfelder eingerichtet und erste Digitalisierungsprojekte auf den Weg gebracht [11]. Im Schienenverkehr sind zwar zunehmende Investitionen in digitale Leit- und Sicherungstechnik im Rahmen des Programms „Digitale Schiene Deutschland“ [12] festzustellen, die jedoch noch massiv gesteigert werden müssen. Die Gesamtkosten für die Digitalisierung des Schienennetzes (u.a. Rollout des europäischen Zugsicherungssystems European Train Control System [ETCS]) werden auf 28 Mrd. Euro geschätzt [12]. Laut Schätzungen lässt sich dadurch die Netzkapazität um bis zu 20 % erhöhen [13]. Die befragten Expert/innen sind mit großer Mehrheit der Ansicht, dass sich mit dem Ausbau der digitalen Leit- und Sicherungstechnik im Schienenverkehr die Resilienz des Infrastruktursystems deutlich stärken lässt (Datengrafik). Die Maßnahme erscheint nicht zuletzt relevant vor dem Hintergrund, dass politisch eine stärkere Verlagerung des Personen- und Güterverkehrs von der Straße auf die Schiene angestrebt wird [14].
Mobilitäts-Apps sind inzwischen für fast alle öffentlichen Verkehrsangebote (Car- oder Bikesharing, ÖPNV, Bahn, Taxidienste etc.) verfügbar. Sie umfassen in der Regel verschiedene Funktionen wie Buchung des Verkehrsmittels oder intelligente Verkehrsinformationen in Echtzeit. Noch sind Mobilitätsplattformen allerdings in ihrer Funktionalität und ihrem Angebotsumfang meist begrenzt. In der Regel beschränken sie sich auf einzelne Verkehrsmittel (wie der Navigator der Deutschen Bahn). Weltweit werden jedoch, so auch in den größeren deutschen Städten, multimodale Plattformen getestet und vereinzelt auch bereits implementiert, die unterschiedliche Mobilitätsservices bündeln (in Berlin z.B. Jelbi, in Hamburg HVV Switch) [15][7]. Von MaaS-Angeboten, die multimodale Verkehrsmittel öffentlicher und privater Anbieter als eine vollintegrierte Dienstleistung verfügbar machen und nahtloses Planen, Buchen und Bezahlen ermöglichen, erhofft man sich eine Stärkung des Umweltverbundes [16]. Rückgrat fast aller MaaS-Angebote bildet ein leistungsfähiger ÖPNV, weshalb die meisten Projekte von Kommunen und öffentlichen Verkehrsunternehmen vorangetrieben werden. Zu den wesentlichen Umsetzungshürden gehört die mangelnde Standardisierung von Daten und Schnittstellen sowie die mangelnde Bereitschaft und rechtliche Verpflichtung privater Anbieter, Daten bereitzustellen [15][7]. Zu den Vorhaben der aktuellen Bundesregierung gehört die Schaffung eines Mobilitätsdatengesetzes, das die »freie Zugänglichkeit von Verkehrsdaten« garantiert.
Angesichts des begrenzten Platzangebots in Städten und zunehmender Flächenkonkurrenz zwischen Fuß-, Rad- und Pkw-Verkehr sind Kommunen zunehmend gefordert, den öffentlichen Raum neu aufzuteilen und möglichst effizient zu nutzen. Im Fokus steht dabei besonders der ruhende Verkehr, der angesichts des wachsenden Pkw-Bestandes immer mehr Flächen beansprucht. Neben der klassischen Parkraumbewirtschaftung (z.B. Anwohnerparken) bieten digitale Technologien neue Möglichkeiten für das Parkraummanagement. Unter dem Stichwort Smart Parking werden digitale Dienste und Lösungen diskutiert, die darauf abzielen, das Parken einfacher, effizienter und bedarfsorientierter zu gestalten sowie Parksuchverkehre zu reduzieren. Lösungen umfassen datengestützte Verkehrsleitsysteme oder die dynamische Bepreisung von Parkflächen in Abhängigkeit von der Auslastung. Per App lassen sich freie Parkmöglichkeiten auffinden und einfach elektronisch bezahlen. Erforderlich ist dafür zum einen die Ausstattung von Parkzonen mit Sensoren und intelligenten Parkuhren, zum anderen eine digitale Parkflächenerfassung [17][18]. Rund 60% der deutschen Großstädte haben bereits Smart-Parking-Maßnahmen umgesetzt oder getestet [19]. Die dabei zu gewinnenden Daten bilden nicht nur eine wichtige Grundlage für die zukünftige Verkehrs- und Parkraumplanung, sondern ermöglichen prinzipiell auch eine digitale Parkraumüberwachung mittels Scanautos, die mit einer auf dem Dach installierten Kamera die Kennzeichen der parkenden Autos erfassen (wie es z.B. in Amsterdam bereits umgesetzt wird [18]).
- Bitkom Research (2023): Hälfte der Deutschen setzt auf Mobilitätsapps. www.bitkom.org/
- Bitkom e.V. (2024): Mobilität: 4 von 10 nutzen Sharing-Angebote. www.bitkom.org/
- Bundesverband CarSharing (2023): Anzahl der Carsharing-Stationen in Deutschland von 2010 bis 2023. Statista, 1.3.2024, de.statista.com/
- Bundesverband CarSharing (2024): Anzahl registrierter Carsharing-Nutzer in Deutschland von 2014 bis 2024. 28.2.2024, de.statista.com/
- Statista (2023g): Shared Mobility: market data & analysis. Market insights report, de.statista.com/
- Die Verkehrsunternehmen (2023): Hochlauf der On-Demand-Verkehre im ÖPNV | VDV – Die Verkehrsunternehmen. 24.10.2023, www.vdv.de/
- Koska, T.; Schneider, P. (2023): Digital in die Mobilitätswende, www.boell.de/
- Center of Automotive Management (2022): Die Zukunft der Mobilität. Die Zukunftstrends in den Bereichen Elektromobilität, Connected Car und Mobilitätsdienstleistungen, www.bnpparibascardif.de/
- Center of Automotive Management (2021): Verteilung der Innovationsstärke von Automobilherstellern im Bereich Connected Cars nach Herkunftsland in den Jahren 2019 und 2020. Statista, 1.3.2024, de.statista.com/
- PricewaterhouseCoopers (2019): Prognose des Marktvolumens von fahrzeugbasierten Connected Services nach weltweiten Regionen in den Jahre 2018 bis 2030. Statista, 24.10.2023, de.statista.com/
- Johann, M. (2021): Digitalisierung der Wasserstraßen startet 2023. 30.8.2021, background.tagesspiegel.de/
- Bundesministerium für Digitales und Verkehr (2022): Digitalisierung Schiene. 9.2.2022, bmdv.bund.de/
- Wüpper, T. (2022): Digitale Schiene kostet bis zu 60 Milliarden Euro. 19.8.2022, background.tagesspiegel.de/
- SPD; Bündnis90/Die Grünen; FDP (2021): Mehr Fortschritt wagen. Bündnis für Freiheit, Gerechtigkeit und Nachhaltigkeit, www.wiwo.de/
- Mitropoulos, L.; Kortsari, A.; Mizaras, V.; Ayfantopoulou, G. (2023): Mobility as a Service (MaaS) Planning and Implementation: Challenges and Lessons Learned. In: Future Transportation 3(2), S. 498–518. DOI: 10.3390/futuretransp3020029
- Klaas, K.; Kaas Elias, A. (2021): Mobilität als Dienstleistung – sozial gerecht? VCD Fact Sheet 10, www.vcd.org/
- PricewaterhouseCoopers (2022): Smart Parking: Digitale Lösungen optimieren Stadtverkehr. 26.1.2022, www.pwc.de/
- Umweltbundesamt (2021): Parkraummanagement für eine nachhaltige urbane Mobilität in der Stadt für Morgen, www.umweltbundesamt.de/
- PricewaterhouseCoopers (2024): Mobilität im Smart City Index 2022: Tiefe Kluft zwischen größeren und kleineren Städten. 2.2.2024, www.pwc.de/
Büro für Technikfolgen-Abschätzung beim Deutschen Bundestag (TAB) (2024): Foresight-Report 2024. Mit Fokus auf die Infrastruktursysteme Energie, Landwirtschaft und Ernährung sowie Verkehr und Mobilität (Autor/innen: Bledow, N.; Eickhoff, M.; Evers-Wölk, M.; Kahlisch, C.; Kehl, C.; Nolte, R.; Riousset, P.). Berlin. https://foresight.tab-beim-bundestag.de