Fokusszenario: Neue Bewirtschaftungsformen
Agroforstsysteme, Agri-PV sowie die Etablierung und Entwicklung von Paludikultur auf (wieder-)vernässten Moorböden sind derzeit Gegenstand wissenschaftlicher Debatten, politischer Strategien und Programme. Auf europäischer Ebene wird der politische Rahmen dabei durch den Green Deal der EU bestimmt. Auf nationaler Ebene treiben Programme, Strategien und Fördermaßnahmen – insbesondere das Klimaschutzprogramm, die Moorschutzstrategie und die Biodiversitätsstrategie – die Entwicklung der neuen Bewirtschaftungsformen voran. Setzen sich die neuen Bewirtschaftungsformen durch, sind entsprechende Auswirkungen auch auf die Wasserversorgung der Agrarwirtschaft zu erwarten. Allerdings sind die genauen Effekte stark regions- und nutzungsabhängig.
Kurzfristig (bis 2030) bleiben neue Bewirtschaftungsformen wie Agroforstsysteme, Agri-PV sowie die Paludikultur eine Nische in der landwirtschaftlichen Nutzung. Die wissenschaftlichen Erkenntnisse zu den erwarteten Vorteilen sowie neue Forschungsergebnisse, etwa aus der Biotechnologie und Pflanzenzüchtung zu klimaresilienten Arten für Agroforstgehölze, treiben die Weiterentwicklung voran. Der Abbau von Hemmnissen, neue Anreize und Fördermaßnahmen führen zu einer zunehmenden Erprobung neuer Bewirtschaftungsformen. Für die Bewertung, das Monitoring und die Erfolgskontrolle kommen zunehmend innovative Methoden der Fernerkundung und KI zum Einsatz. Insbesondere kombinierte Ansätze von Agri-PV und Agroforstsysteme verdeutlichen im Rahmen von Modellprojekten die Potenziale für eine deutliche Wassereinsparung in der Landwirtschaft. Diese Projekte werden von landwirtschaftlichen Betrieben und regionalen Initiativen unterstützt und gehen in die praktische Umsetzung. Zudem werden erste Moor-PV-Anlagen auf Flächen von Paludikultur errichtet.
In mittelfristiger Perspektive (bis 2035) beschleunigt eine Kombination aus politischen Anreizen, Forschungsinitiativen und technologischen Fortschritten die Verbreitung neuer Bewirtschaftungsformen in der Landwirtschaft. Agri-PV-Anlagen werden auf 2 bis 3 % der landwirtschaftlichen Fläche installiert, da sie zusätzlichen Nutzen sowohl durch Energieerzeugung als auch durch reduzierten Wasserverbrauch bieten. Auch Agroforstsysteme setzen sich durch, da sie die Bodenfruchtbarkeit und Biodiversität fördern und gleichzeitig klimatische Vorteile bieten. Mit Hilfe von KI-unterstützen Züchtungsverfahren können standortangepasste Pflanzen gezüchtet werden, die eine hohe Ertragssicherheit bieten. Flexible, automatisierte, elektrisch betriebene und (teil-)autonome Feldroboter, die sich auch in Mischkulturen bewegen können, wurden erfolgreich getestet und etablieren sich zunehmend am Markt. In vielen Betrieben bieten sie mittlerweile eine wertvolle Unterstützung bei der Pflege und Bewirtschaftung der Flächen. Durch gezielte (Weiter-)Bildungsangebote im Bereich neuer Technologien können immer mehr Landwirt/innen Roboter, Drohnen und Sensoren erfolgreich in ihren Betrieb integrieren. Paludikultur etabliert sich insbesondere für den Anbau von Nasskulturen und Torfersatzstoffen. Förderprogramme und Beratungsangebote unterstützen Betriebe bei der Umstellung, während gemeinschaftliche Plattformen den Wissensaustausch erleichtern. Die Verbraucherakzeptanz steigt, weil nachhaltige Bewirtschaftungssysteme zunehmend als glaubwürdige Antwort auf Umwelt- und Klimaprobleme wahrgenommen werden. Viele Konsument/innen achten verstärkt auf Transparenz, Regionalität, Ressourcenschonung und Tierwohl als Kriterien, die durch nachhaltige Produktionsweisen erfüllt werden. Gleichzeitig steigt das Vertrauen in entsprechende Zertifizierungen und Herkunftsnachweise, was die Nachfrage nach Produkten aus solchen Systemen zusätzlich fördert. So entsteht ein Markt, der neue ökonomische Chancen für landwirtschaftliche Betriebe eröffnet und zusätzliche Anreize für neue Bewirtschaftungsformen setzt.
Langfristig (bis 2050) treiben politische Anreize und technische Innovationen sowie insbesondere die fortschreitende gesellschaftliche Debatte die Entstehung und Verbreitung neuer Bewirtschaftungsformen voran. Vor dem Hintergrund globaler Dynamiken und Herausforderungen wächst der gesellschaftliche Druck für eine nachhaltige Transformation der Landwirtschaft. Ökosystemleistungen sind fester Bestandteil landwirtschaftlicher Managemententscheidungen. Besonders die Umsetzung von Biodiversitäts- und Klimaschutzzielen, Maßnahmen zur Klimaanpassung und die Schaffung von CO2-Senken beeinflussten die Ausbreitung von neuen Bewirtschaftungsformen. Die Wiedervernässung von Moorböden und die damit einhergehenden Veränderungen der Bewirtschaftung (Paludikultur) sowie der gezielte Humusaufbau zur Kohlenstoffbindung sind etabliert. In der Agroforstwirtschaft trägt die CO2-Bindung in den Gehölzen aktiv zum Klimaschutz bei und ist damit ein zentraler Bestandteil der entsprechenden Maßnahmen. Auch der steigende Bedarf an klimaresilienten Bewirtschaftungsformen hat diese Entwicklungen entscheidend vorangetrieben.
Neue Vulnerabilitäten
Der breite Einsatz neuer Bewirtschaftungsformen schafft neue Vulnerabilitäten vor allem bezüglich Wirtschaftlichkeit, Technikabhängigkeit, Cyberkriminalität, Wetterextremen sowie Versorgungsengpässen und geopolitischer Risiken.
Landwirtschaftliche Betriebe gehen mit der Umstellung auf neue Bewirtschaftungsformen zunächst ökonomische Risiken ein. Mit Blick auf Agroforstsysteme ergeben sich erhöhte Investitions- und Bewirtschaftungskosten und kein unmittelbarer Return on Investment in den ersten Jahren. Zudem sinkt die Flexibilität der Betriebe durch die langfristige Kapital- und Flächenbindung, die durch die vergleichsweisen langsam wachsenden Gehölze entstehen. Die Auswahl der Gehölzarten ist entscheidend für den langfristigen Erfolg und Ertrag eines Agroforstsystems. Zunehmende Wetterextreme wie Dürren können besonders den neu gepflanzten Gehölzen schaden, denn diese sind auf eine ausreichende Bewässerung angewiesen. Schon heute müssen zukunftssichere und resiliente Gehölze ausgewählt werden, die gut mit den veränderten klimatischen Bedingungen zurechtkommen.
Insbesondere Agri-PV-Anlagen werden zukünftig stärker abhängig sein von technischen Infrastrukturen, zu denen etwa Sensoren, Automatisierungstechnik und Netzwerke zählen. Störungen in der Energie- oder auch der Internetversorgung können den Betrieb entsprechend empfindlich beeinträchtigen. Die zunehmende Digitalisierung und Automatisierung in Systemen wie Agri-PV erhöhen das Risiko von Cyberangriffen, die Betriebsabläufe stören oder Daten manipulieren könnten. Auch Wartung und Ersatzteilversorgung werden essenziell, etwaige Versorgungsengpässe hätten somit gravierende Folgen. Zunehmende Wetterextreme wie Orkane und große Hagelkörner können Agri-PV-Anlagen beschädigen und so finanzielle Schäden verursachen. Der Ausbau von Agri-PV-Anlagen hängt heute im großen Maße von der Verfügbarkeit von PV-Modulen aus China ab. Geopolitische Konflikte könnten sich auf den Handel mit China negativ auswirken und dadurch den Ausbau der Agri-PV gefährden.
Durch die Verschattung unter den PV-Modulen verändert sich das Mikroklima: Die Luftfeuchtigkeit steigt und die Belüftung nimmt ab, wodurch die Bedingungen für Pilzkrankheiten begünstigt werden. Deshalb ist eine geeignete Sortenauswahl wichtig, um das Erkrankungsrisiko zu reduzieren und gleichzeitig zu lange Vegetationszeiten zu vermeiden. Auch die Wiedervernässung von Mooren kann die Artenvielfalt in einem Gebiet verändern. So kann es zu einer Ausbreitung von Stechmücken kommen, die eventuell als Vektoren für bestimmte zoonotische Erreger fungieren können.
Betriebswirtschaftlich erfordert die Umstellung auf angepasste Bewirtschaftungsformen (z. B. Paludikultur) Investitionen und es kann zu Produktionsrisiken und Ertragsrückgängen kommen. Die Folgen sind Liquiditäts- und Einkommensrisiken, die bis hin zu Betriebsschließungen führen können.
Besonders in Regionen, wo solche Flächen einen hohen Anteil an der verfügbaren Landwirtschaftsfläche ausmachen, wie in Niedersachsen, Brandenburg, Bayern, Schleswig-Holstein und Mecklenburg-Vorpommern, kann dies den Umfang der lokal produzierten Nahrungsmittel reduzieren. Dies könnte die regionale Versorgung mit Nahrungsmitteln beeinträchtigen und die Abhängigkeit von Importen erhöhen. Soziale Spannungen und die wirtschaftliche Schwächung von Regionen können die Folge sein und die gesellschaftliche Polarisierung verstärken.
Büro für Technikfolgen-Abschätzung beim Deutschen Bundestag (TAB) (2025): Resilienz-Dossier Wassermanagement in der Landwirtschaft (Autor/innen: Behrendt, S.; Bledow, N.; Evers-Wölk, M.; Kahlisch, C.; Kollosche, I.; Uhl, A.). Berlin. https://foresight.tab-beim-bundestag.de/wassermanagement-in-der-landwirtschaft