Fokusszenario: Geschlossene Produktionssysteme
Kurzfristig (bis 2030) entstehen mit der Mobilisierung von Investitionskapital günstige Ausgangsbedingungen für eine Marktentwicklung geschlossener Produktionssysteme in Deutschland. Start-ups, Forschungsnetzwerke und Unternehmen der Agrarbranche spielen eine zentrale Rolle in der Marktentwicklung. Auch die Politik unterstützt diese Entwicklung mit Programmen zur Förderung von Forschung, Entwicklung und Innovation im Rahmen der Transformation der Agrarsysteme und der „Protein-Transition“. Dabei geht es um den Übergang von einer Ernährung, die hauptsächlich auf tierischen Proteinen basiert, hin zu einer Ernährung mit einem größeren Anteil pflanzlicher oder anderweitiger Proteine. Im Bereich Vertical Farming wird die Forschung zur Optimierung der Produktionssysteme unterstützt, etwa durch den Einsatz geeigneter Materialien und Automatisierungstechnologien. Die sich abzeichnenden Innovationen werden in Modellprojekten von Pionierorganisationen erprobt. Dabei spielen insbesondere Faktoren wie die Senkung des Energieverbrauchs und der Einsatz erneuerbarer Energien, Synergieeffekte zwischen dezentralen erneuerbaren Energienetzwerken und geschlossenen Systemen sowie die Skalierung der Fertigung eine bedeutende Rolle. Die gesellschaftliche Akzeptanz von Produkten aus geschlossenen Produktionssystemen hat sich durch die Erprobung und die damit einhergehende Verbreitung etwas erhöht. Die Frage, inwieweit die Systeme in ihren diversen möglichen Konfigurationen zur Nachhaltigkeit beitragen, ist wissenschaftlich noch nicht eindeutig geklärt.
Auf mittlere Sicht (bis 2035) entwickeln sich geschlossene Systeme aus der Nische und finden zunehmend Verbreitung, vor allem in Regionen, die zunehmend Dürrperioden und anderen Wetterextremen ausgesetzt sind. Dennoch bleiben die Auswirkungen auf die Wasserversorgung der Landwirtschaft begrenzt, da die Produktion in geschlossenen Systemen nur einen geringen Umfang hat und die herkömmlich erzeugten Nahrungsmittel größtenteils ergänzt, aber kaum ersetzt werden. Treiber sind das mittelfristig prognostizierte Bevölkerungswachstum in Deutschland und die damit verbundene Mehrnachfrage nach Nahrungsmitteln sowie Änderungen von Ernährungsgewohnheiten. Die zunehmende Sensibilität für die Auswirkungen des eigenen Konsums, breitere gesellschaftliche Kritik an der Massentierhaltung und der steigende Bedarf an pflanzlichen Alternativen tragen ebenfalls maßgeblich zur Dynamik bei. Der sich abzeichnende wissenschaftlich-technische Fortschritt bei der Pflanzenzüchtung, der Optimierung von Vertical-Farming-Anlagen und der Skalierbarkeit der zellulären Landwirtschaft (wie bei Präzisionsfermentation und kultiviertem Fleisch) beschleunigt die Etablierung geschlossener Systeme erheblich. Parallel dazu entwickeln sich innovative Geschäftsmodelle, die sich weiter differenzieren und für unterschiedliche Größenordnungen und Einsatzbereiche anpassen lassen. So sind im Vertical Farming etwa große Containerfarmen entstanden sowie Gebäude, die ausschließlich der Pflanzenproduktion dienen. Andererseits existieren auch kleinere Modelle: Landwirt/innen nutzen Vertical Farming in Kombination mit anderen Anbauarten und es gibt vermehrt kleinere In-Store-Farmen in Supermärkten und Restaurants. Auch private sogenannte „Appliance Farms“ – also kleine, automatisierte Lebensmittelproduktionssysteme für den Hausgebrauch oder die Nachbarschaft –, in denen die Konsumenten direkten Zugang zu frischen Lebensmitteln erhalten, haben mittelfristig bis 2035 an Bedeutung gewonnen. Diese dezentralen Mini-Farmen, die auf smarten Technologien wie Sensorik, automatisierter Bewässerung, LED-Lichtsteuerung und künstlicher Intelligenz basieren, ermöglichen es Konsument/innen, direkt vor Ort frische Lebensmittel wie Kräuter, Salate oder kleinere Gemüsesorten anzubauen, sei es im städtischen Wohnumfeld, in Gemeinschaftsräumen oder auch in Privathaushalten.
In langfristiger Perspektive (bis 2050) haben sich geschlossene Produktionssysteme zur Herstellung von Nahrungsmitteln so weit durchgesetzt, dass sie den konventionellen Ackerbau nicht nur ergänzen, sondern in Teilen sogar ersetzt haben. Die Biotechnologie hat hierbei eine Schlüsselrolle gespielt: Durch sprunghafte Fortschritte in der Bio- und Gentechnologie in Verbindung mit Bioinformatik und KI-Methoden konnten künstliche Agrarsysteme effizienter und nachhaltiger realisiert werden. Es ist gelungen, kultiviertes Fleisch in Bioreaktoren, Milchprodukte in zellulärer Produktion sowie Weizen und andere Feldfrüchte in vertikalen Farmen auf minimalem Raum und in hoher Qualität massenhaft zu produzieren. Zwar werden Feldfrüchte, anders als andere Kulturen, in Deutschland nur zu einem sehr kleinen Teil in geschlossenen Systemen produziert – als Resilienzmaßnahme, um Ernteausfällen vorzubeugen –, für die Ernährungssicherheit weltweit sind sie mittlerweile jedoch ein essenzieller Baustein. Zudem konnte durch den Einsatz geschlossener Systeme der Druck gesenkt werden, flächenintensiv Landwirtschaft zu betreiben, was dem Erhalt und der Wiederherstellung funktionierender Ökosysteme zugutekam. Infolge der steigenden Effizienz der Anlagen und der hohen gesellschaftlichen Akzeptanz konnten geschlossene Produktionssysteme zu einem wesentlichen Element der Stärkung der Resilienz in der Lebensmittelproduktion werden. Geschlossene Produktionssysteme haben langfristig auch zur Renaturierung und Umnutzung landwirtschaftlicher Flächen beigetragen und somit den natürlichen Wasserhaushalt gestärkt.
Neue Vulnerabilitäten
Der breite Einsatz geschlossener Produktionssysteme schafft neue Vulnerabilitäten vor allem bezüglich Energieabhängigkeit, Cyberkriminalität und Technikversagen bzw. eingeschränkter Technikbeherrschbarkeit.
Wenn geschlossene Produktionssysteme aus der Nische in die breite Anwendung gehen, entstehen für das Infrastruktursystem „Landwirtschaft und Ernährung“ neue Vulnerabilitäten, die durch die Eigenschaften der Systeme sowie deren Abhängigkeiten von anderen Systemen (Energie- und Technologiesysteme) bedingt sind. Vor allem die erhöhte Energieabhängigkeit geschlossener Produktionssysteme ist eine Schwachstelle, da diese Systeme eine durchgängige Energiezufuhr und zudem sehr viel Energie benötigen. Diese Abhängigkeit macht die Systeme anfällig für Schwankungen in der Energieversorgung und bei Preissteigerungen. Stromausfälle oder Blackouts könnten nicht nur die aktuelle Ernte, sondern grundsätzlich die Funktionsfähigkeit z.B. von Aquaponik-Anlagen gefährden [1]. Mit zunehmender Verbreitung geschlossener Produktionssysteme, die hochgradig digitalisiert und technologieabhängig sind, wächst auch das Risiko der Cyberkriminalität bzw. das Interesse von Cyberkriminellen und potenziell sogar staatlichen Akteuren, diese Systeme als Angriffsziel zu nutzen. Kriminelle Hacker könnten etwa automatisierte Steuerungen manipulieren, Daten entwenden oder ganze Produktionsabläufe sabotieren, was in einem größeren System zu umfassenderen, wirtschaftlich relevanten Schäden führen würde. In skalierten Produktionssysteme werden, standardisierte Technologien und Software verwendet, was sie in ihrer Breite anfälliger für systemische Risiken macht, da sich Schwachstellen in weit verbreiteten Komponenten oder Programmen potenziell auf eine große Anzahl von Betrieben gleichzeitig auswirken können. Eine Sicherheitslücke oder ein technischer Defekt in einer weit verbreiteten Software könnten zahlreiche Anlagen gleichzeitig betreffen. In einem solchen Fall könnten zunächst lokale Ausfälle auftreten, die sich jedoch schnell zu überregionalen Störungen ausweiten, da viele Systeme von derselben Software abhängig sind. Dies erhöht das Risiko, dass ein einzelnes Problem größere Teile der Produktionsinfrastruktur beeinträchtigt bzw. stilllegt. Darüber hinaus können technische Fehlfunktionen oder Fehlbedienungen, beispielsweise auf Grund von mangelndem Know-how, in den vernetzten, technologieabhängigen Anlagen ein ernstzunehmendes Problem darstellen. Versorgungsengpässe oder Ausfälle bei Ressourcen oder kritischen Bauteilen könnten eine Vielzahl von Produktionsstätten gleichzeitig betreffen und die gesamte Produktion gefährden, insbesondere wenn die Beschaffung solcher Komponenten von globalen Lieferketten abhängt.
Je nach Ausgestaltung der geschlossenen Produktionssysteme kann die Produktion geografisch stark konzentriert stattfinden und könnte dadurch im Falle geopolitischer Konflikte ein potenzielles Angriffsziel für terroristische Anschläge oder militärische Angriffe werden. Sollten Vertical Farming und zelluläre Lebensmittelproduktion herkömmliche Landwirtschaft und Nutztierhaltung in großen Teilen ersetzen, gäbe es in der Transitionsphase je nach Ausgestaltung des neuen Systems eine Verlagerung von Arbeitsplätzen und Profiten zu neuen Akteuren mit einhergehenden Arbeitsplatzverlusten [2].
Da geschlossene Systeme oft teure, komplexe Technologien voraussetzen, könnte ihre Verbreitung zur Konzentration des Marktes bei wenigen großen Anbietern führen [2]. Eine solche Monopolisierung würde die Marktvielfalt reduzieren und kleinere, weniger kapitalstarke Unternehmen vom Markt verdrängen. In der Folge würde eine starke Abhängigkeit von wenigen Anbietern entstehen, die Preise diktieren und Verfügbarkeit sowie Innovationen einschränken könnten.
Wie im herkömmlichen Anbau bestehen auch im Vertical Farming mikrobiologische Risiken beispielsweise durch die Ausbreitung von Krankheitserregern. Einerseits können sich Erreger durch die hydroponischen Systeme, die eine Nährstofflösung nutzen, möglicherweise schneller verbreiten. Andererseits sind die Anlagen geschlossen und teilweise auch innerhalb einer Anlage voneinander unabhängig, so dass der Verbreitung klare Grenzen gesetzt werden können. Zudem kann der Ausfall der Ernte weniger problematisch sein, da er sich nur auf den betroffenen Teil bezieht und generell mehrere Ernten pro Jahr möglich sind [3].
- Erekath, S. et al.(2024): Food for future: Exploring cutting-edge technology and practices in vertical farm. In: Sustainable Cities and Society 106, S. 105357, DOI: 10.1016/j.scs.2024.105357
- Treich, N. (2021): Cultured Meat: Promises and Challenges. In: Environmental & Resource Economics 79(1), S. 33–61, DOI: doi.org/10.3389/fsufs.2019.00011
- van Gerrewey, T. et al.(2022): Vertical Farming: The Only Way Is Up? In: Agronomy 12(1), S. 2, DOI: 10.3390/agronomy12010002
Büro für Technikfolgen-Abschätzung beim Deutschen Bundestag (TAB) (2025): Resilienz-Dossier Wassermanagement in der Landwirtschaft (Autor/innen: Behrendt, S.; Bledow, N.; Evers-Wölk, M.; Kahlisch, C.; Kollosche, I.; Uhl, A.). Berlin. https://foresight.tab-beim-bundestag.de/wassermanagement-in-der-landwirtschaft
- Erekath, S. et al.(2024): Food for future: Exploring cutting-edge technology and practices in vertical farm. In: Sustainable Cities and Society 106, S. 105357, DOI: 10.1016/j.scs.2024.105357
- Treich, N. (2021): Cultured Meat: Promises and Challenges. In: Environmental & Resource Economics 79(1), S. 33–61, DOI: doi.org/10.3389/fsufs.2019.00011
- van Gerrewey, T. et al.(2022): Vertical Farming: The Only Way Is Up? In: Agronomy 12(1), S. 2, DOI: 10.3390/agronomy12010002